Echter Impact oder Green Washing?
Wir müssen endlich innovativer werden!
Ein Expertenbeitrag von Dr. Peter Mösle – Drees & Sommer
Bei der Erreichung der Klimaziele spielt die Immobilienbranche eine Schlüsselrolle. Stand heute ist es hier in vielen Bereichen aber noch nicht weit her mit echter Nachhaltigkeit – denn in den meisten Fällen kennen Investoren, Eigentümer und Betreiber die eigenen Energie- und Ressourcenverbräuche nicht, obwohl diese sehr hoch sind. Was die Branche jetzt tun muss, um den jährlich sich verschärfenden ESG-Verpflichtungen zu genügen ist vor allem eines: endlich innovativer zu werden.
Von einem sorgsamen Umgang mit Rohstoffen sowie den ökologischen Ressourcen unseres Planeten hängt die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen, aber auch von ganzen Ländern und Städten ab. Das gilt auch und gerade für den Umgang mit Bestandsgebäuden. Denn bei der Erreichung der Klimaziele spielt die Bau- und Immobilienbranche eine zentrale Rolle: Ihr Anteil am weltweiten CO2-Footprint liegt bei 38 Prozent, sie ist für 50 Prozent des europäischen Müllaufkommens verantwortlich, in Deutschland verbaut sie 90 Prozent der geförderten mineralischen Rohstoffe. Das Potenzial für ein Umsteuern ist also ganz erheblich. Und der Handlungsdruck ist auch vorhanden – dafür hat nicht zuletzt die Europäische Union mit dem Green Deal und der Taxonomy gesorgt. Damit hat die Thematik einen neuen und vor allem verdienten Stellenwert erhalten.
Dementsprechend ist das Thema ESG – die Abkürzung steht für die englischen Begriffe Environment, Social und Governance – mittlerweile in aller Munde. Wichtig dabei ist zu berücksichtigen, dass ESG dynamisch gedacht werden muss. Denn die aktuellen Verpflichtungen sind erst der Anfang, quasi der erste Schritt auf einer langen Reise hin zu mehr echter Nachhaltigkeit. Sie werden sich immer weiter verschärfen. So entsteht ein Klima- und Umweltpfad, der bis 2050 reicht und an dem sich die gesamte Bau- und Immobilienwirtschaft als größter Verbraucher der weltweiten Rohstoffe orientieren muss – nicht darf. Es gibt keine Abwägung zwischen „Green“ und „Social“, denn „Green“ muss zum einen in allen Projekten enthalten sein und zum anderen auch wirklich grün sein – ansonsten besteht die Gefahr des Greenwashings. Dies würde ein schlechtes Licht auf die gesamte Branche werfen und zugleich – noch viel schlimmer – die zwingend zu erreichenden Klimaziele für unseren Planeten unmöglich machen.
Kreislaufwirtschaft und Erneuerbare Energien
Die Möglichkeiten, die die Bau- und Immobilienbranche hat, sind bereits heute extrem vielfältig: Man kann Bestandsgebäude umfassend sanieren und energetisch auf Vordermann bringen, so dass sie modernsten Standards genügen und ihr CO2-Fußabdruck so klein wie nur möglich wird. Man kann Photovoltaik- und Solarthermieanlagen installieren und die in die Jahre gekommenen Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen – hier hat nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise den Handlungsdruck massiv erhöht. Man kann Grünanlagen konzipieren und damit Einfluss auf das Mikroklima in den Städten nehmen und Brachen revitalisieren. Aber all das reicht nicht aus, um die Wende hin zu einer wahrhaftig grünen Immobilienwirtschaft zu schaffen.
Denn wer den ökologischen Fußabdruck seiner Immobilie minimieren will, muss generell umdenken und die Art und Weise, wie Gebäude konzipiert werden, auf völlig neue Füße stellen. Jährlich verschwinden Milliarden Tonnen von Kalk, Kies, Sand und Stahl in Gebäuden. Bei Abriss werden große Teile davon zu Abfall. Dabei ließe sich das gigantische Rohstofflager, das in Gebäuden schlummert, durch ein Umdenken hin zu einem zirkulären Wirtschaftssystem viel besser nutzen. Cradle-to-Cradle heißt dieses Designprinz, das eine echte Kreislaufwirtschaft für Gebäude beinhaltet – und damit zur Folge hat, dass Immobilien mit einem Haltbarkeitsdatum versehen werden. Ziel ist es, dass Gebäude am Ende ihrer Lebensdauer wieder abgebaut werden und die verschiedenen Materialien hochwertig wiederverwendet werden können. Um das möglich zu machen, muss das Produktdesign stimmen: Wer ein Gebäude neu baut oder saniert, muss sich detailliert mit den verwendeten Baumaterialien auseinandersetzen. Es sollten möglichst Naturmaterialien wie etwa Lehmwände oder aus Recyclingmaterialien hergestellte Teppichböden zum Einsatz kommen, also recyclingfähige Baustoffe, deren Erzeugung keinen oder nur einen geringen CO2-Fußabdruck verursacht. Derzeit gibt es schon tausende zertifizierte Cradle-to-Cradle-Produkte – darunter Bodenbeläge, Fassadensysteme und Möbel, die komplett schadstofffrei, gesundheitlich unbedenklich und emissionsarm sind. Es darf aber durchaus auch Zement oder Beton verbaut werden, wenn diese zuvor dekarbonisiert wurden – etwa indem das bei der Herstellung abgeschiedene CO2 für andere Industrieprozesse genutzt, gespeichert oder transparent kompensiert wird.
So zu bauen, mag zwar zunächst den Planungsaufwand erhöhen. Das Cradle-to-Cradle Prinzip hat aber noch eine weitere betriebswirtschaftliche Dimension, die sich für Investoren und Eigentümer rechnet: Wenn die verbauten Rohstoffe nicht einfach verbraucht werden, sondern später wiederverwertet werden, sind die Gebäude nämlich nichts anderes als eine Materialbank. Das für die Baustoffe gebundene Kapital ist damit nicht verloren, sondern wird mit der Wiederverwertung wieder freigegeben. Dadurch wird die Immobilie zum Rohstoffdepot, dessen Wert in Zeiten einer sich verschärfenden Rohstoffknappheit kontinuierlich steigen kann. Dieser Faktor wird zunehmend an Bedeutung gewinnen, denn der Markt wird mit der Zeit aufgeklärter und transparenter werden.
Dies darf alles keine ferne Zukunftsmusik bleiben, denn schon heute können wir es umsetzen! Verschiedene Planungs- und Dokumentationstools für Neubauten und Sanierungen helfen dabei, das Cradle-to-Cradle Prinzip anzuwenden und zu optimieren. Die Plattform Madaster liefert die verfügbaren Rohstoffwerte des Gebäudes auf Knopfdruck, so dass auch die finanziellen Auswirkungen über die Planungs-, Bau- und Betriebsphase nachverfolgt werden kann.
Zur Person: Dr. Peter Mösle
Dr. Peter Mösle ist Partner der Drees & Sommer SE und Geschäftsführer der EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer. Nach seinem Studium an der Universität Stuttgart und University of Tucson promovierte er 2009 zum nachhaltigen Bauen. Seit 1996 begleitet er bei Drees & Sommer Projekte im Bereich Energiedesign/umweltgerechtes Bauen und verantwortet seit 2012 als Partner die Themen ESG, Nachhaltigkeit und Innovation. Mit der EPEA berät Peter Mösle Kunden nach dem Cradle to Cradle – Designkonzept zu Produkten und Gebäuden für die Circular Economy. Peter Mösle ist Gründungs- und Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).
Über Drees & Sommer
Als führendes international tätiges Planungs- und Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in Stuttgart begleitet Drees & Sommer Bauherren sowie Investoren seit über 50 Jahren in allen Fragen rund um Immobilien und Infrastruktur. Durch zukunftsweisende Beratung bietet das Unternehmen Lösungen für erfolgreiche Gebäude, renditestarke Portfolios, leistungsfähige Infrastruktur und lebenswerte Städte.










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