
Frankfurt und der Brexit
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Nach dem deutlichen Sieg der Konservativen bei der Wahl in Großbritannien im Dezember 2019 hat der britische Premierminister Boris Johnson seinen Plan bekräftigt, Großbritannien bis Ende Januar 2020 aus der EU zu führen. Mit dem klaren Sieg sei ein zweites Referendum über den Austritt aus der EU nun eindeutig vom Tisch. Boris Johnson wolle nun den Brexit „fristgerecht erledigen“. Damit scheint eine bisher bestehende Hängepartie bezüglich des Brexit beendet zu werden. Genau diese Hängepartie erkärt auch, warum in Deutschlands Büroimmobilienmarkt bisher wenig vom Brexit zu spüren war. Werfen wir einen Blick in die deutsche Bankenmetropole Frankfurt.
Positiver Trend bei Büronachfrage
Der Markt für Büroimmobilien in Frankfurt entwickelt sich die letzten Jahren dort positiv. Mit rund 640.000 Quadratmetern Flächenumsatz entwickelte hatte der Büromarkt 2018 das drittbeste Ergebnis seit der Jahrtausendwende, nach Angabe der Frankfurter Immobilienbörse bei der IHK Frankfurt. In den Städten um Frankfurt herum gehören Städte wie Bad Homburg, Eschborn und Kronberg konstant hohen Flächenumsatz, auch wenn dieser kleinteiliger ist als in der Kernstadt Frankfurt.
Erste Bewegungen erkennbar
Auf dem Büroimmobilienmarkt in Frankfurt am Main gibt es bislang nur wenige Großanmietungen, die ganz konkret auf den Brexit zurückzuführen sind. Zwar haben Banken und Finanzdienstleister ihre Büroflächen vergrößert, doch auf reihenweise Großanmietungen aufgrund des Brexit wird noch gewartet. Zu den bisherigen nennenswerten Brexit-Vermietungen zählt beispielsweise die durch Goldman Sachs im Marienturm.
Neue Zentrale der Macht: Goldman Sachs bezieht die obersten zehn Geschosse des Marienturms (Herbst 2019).
Im Marienturm können ab sofort bis zu 700 Mitarbeiter ihre Arbeit aufnehmen, mehr als Doppelt so viele wie im bisherigen Domizil platzgefunden hätten, dem Frankfurter MesseTurm. Es sind schon ganze Teams von Londoner Bankern nach Frankfurt umgezogen, doch der große Boom läßt noch auf sich warten. Denn es herrschte bisher Unsicherheit vor.
Statt dem Brexit finden in letzter Zeit merkliche Neuvermietungen in Frankfurt vor allem durch neue Anbieter aus dem Bereich Coworking statt. Coworking-Anbieter vermieten Büroflächen in verschiedensten Größen mit kurzen Laufzeiten, damit Unternehmen möglichst flexibel mieten können. Diese Anmietungen finden jedoch vor allem in neuen Bürogebäuden statt.
Frankfurt hat heute im Vergleich der 7 größten Großstädte in Deutschland, wie schon seit vielen Jahren, noch den höchsten prozentualen Leerstand an Büroflächen. Dieser Leerstand nimmt die letzten Jahre ab, ist aber vor allem auf Abriss von nicht mehr zeitgemäßen Büroimmobilien und dem Ersetzen von Bürogebäuden durch Wohnimmobilien zurückzuführen.
Vorbereitung auf erhöhte Nachfrage
Laut der Finanzplatz-Studie der Hessischen Landesbank (Helaba) vom Oktober 2019 haben 31 ausländische Banken aus 14 verschiedenen Ländern Frankfurt als neuen Standort auserkoren. Die Helaba-Volkswirte rechnen bis Ende 2021 mit etwa 3500 Stellen, die durch den Brexit in der Mainmetropole geschaffen werden sollen. Herr Dr. Mitropoulus hat an der Finanzplatz-Studie mitgewirkt und kommentiert:
„Der Brexit hat bereits und wird auch künftig für zusätzliche Arbeitsplätze im Frankfurter Bankenviertel sorgen.“
— Dr. Stefan MitropoulosHerr Dr. Mitropoulos leitet seit 2009 die Konjunktur- und Immobilienanalyse im Research der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen. Mehr zur Person
Unabhängig vom Brexit stehen zahlreiche Großbanken vor einem Jobumbau in Frankfurt. Trotz der Brexit-Banker dürfte daher die Zahl der Bankmitarbeiter in Frankfurt der Finanzplatz-Studie zufolge bis Ende 2021 nur um insgesamt etwa ein Prozent gegenüber dem Stand Ende 2018 zulegen – nämlich um rund 600 auf dann 64.500 Banker.
Bauen, bauen, bauen
Fachleute führen die bisher weniger ausgeprägten Brexit-Signale im Frankfurter Büroimmobilienmarkt vor allem darauf zurück, dass bisher das Austrittsdatum von Großbritannien aus der Europäischen Union lange Zeit unklar war. Zum 1. Februar 2020 ist Großbritannien jedoch aus der EU ausgetreten. Die Immobilienwirtschaft ist jedenfalls mit entsprechendem Flächenangebot ausgestattet, um einen Zuzug von Brexit-Bankern und damit einhergehenden Tätigkeiten aufzunehmen.
Brexit hin oder her: Die Stadtregion Frankfurt am Main hat sich die letzten Jahrzehnte zur deutschen Wirtschaftshauptstadt entwickelt. Der Erfolg von Frankfurt liegt in der nicht kopierbaren, zentralen Lage innerhalb von Deutschland und der EU begründet. Menschen kommen sehr schnell nach Frankfurt und von hier aus in die gesamte Welt. Die Lage ist auch der Grund dafür, warum in Frankfurt heute der leistungsstärkste Internethub weltweit geworden ist: von hier aus werden die großen Datenmengen verteilt.
Leider hat die Politik auf Landes- und Bundesebene diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten weitestgehend verschlafen. Die Mehrzahl der Nutznießer vom „Hub Frankfurt“ wohnen nicht direkt dort. Frankfurt hat heute Metropolenstatus, wird aber bisher aufgrund seiner tatsächlichen Einwohnerzahl von Parteien ungenügend gefördert: SPD, CDU und Grüne unterscheiden sich in diesem Punkt wenig voneinander.
„Die Bundesregierung und das Land Hessen müssen die Metropolenfunktion von Frankfurt viel stärker fördern als bisher.“
— Michael WutzkeHerr Wutzke ist Redakteur im SKYLINE ATLAS und verfolgt Entwicklungen im Frankfurter Immobilienmarkt seit mehr als 20 Jahren. Mehr zur Person
Doch wenigstens die Privatwirtschaft investiert: Die seit Jahren bestehende, kontinuierliche Bautätigkeit bei Bürogebäuden wird sich fortsetzen. Hinzukommen werden auch zahlreiche neue Hochhäuser, darunter auch spekulativ errichtete Bürotürme wie der 190 Meter hohe Wolkenkratzer ONE, der Global Tower und das Projekt FOUR Frankfurt im Bankenviertel. Damit wird die Mainmetropole gewappnet sein für eine steigende Nachfrage nach hochwertigen Büroflächen in der Innenstadt.
Ein Artikel von Michael Wutzke für Der Bank Blog.
Die Meinung einzelner Autoren spiegelt nicht die Meinung der Redaktion wieder.
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