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Über die Stadtentwicklung in Frankfurt am Main

Architekt Stefan Forster im Gespräch

Stefan Forster gründete vor über dreißig Jahren das in Frankfurt ansässige Architekturbüro Stefan Forster GmbH. Zusammen mit seinem Partner Florian Kraft und mittlerweile rund 60 Mitarbeitenden verfolgt und gestaltet er die Stadtentwicklung in ganz Deutschland aktiv mit. Dabei konzentriert sich seine Arbeit schwerpunktmäßig auf den Wohnungsbau, den Umbau von Büro- und Verwaltungsgebäuden sowie die Transformation von Siedlungsstrukturen.

Eine von Stefan Forsters aktuellen Projekten ist die Umgestaltung der Platensiedlung in Frankfurts Norden. Das Viertel soll dabei neu belebt und städtisches Wohnen mit der Ansiedlung von Geschäften, Arztpraxen, Cafés und Kitas gefördert werden.

Der SKYLINE ATLAS traf den Architekten und sprach mit ihm über die Frankfurter Stadtentwicklung, neue Bautrends, die Herausforderungen der Corona-Pandemie für den Wohnungsbau sowie die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung.

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„Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir vergessen haben, wie ein vernünftiger Platz aussieht und gestaltet wird.“

— Stefan Forster

SKYLINE ATLAS: Lieber Stefan Forster, vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit für ein Gespräch mit dem SKYLINE ATLAS nehmen. Vor über 30 Jahren gründeten Sie Ihr eigenes Architekturbüro, welches heute mit rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den führenden Büros im Bereich Wohnungsbau zählt. Die vergangenen Jahrzehnte waren dabei von einer deutlichen Reurbanisierung geprägt, infolgedessen viele innenstadtnahe Quartiere aufgewertet wurden. Warum ist Wohnen in der Stadt wieder so attraktiv?

Stefan Forster: Architekten neigen dazu, die Renaissance der Stadt zu verklären. Dabei hat der Run auf die Städte nur wenig mit der Sehnsucht nach urbaner Kultur zu tun. Die reale Stadtentwicklung wird von anderen Faktoren bestimmt. Zum Beispiel dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, die mit einer immer höheren Konzentration von Arbeitsplätzen in den Städten einhergeht. Ähnlich wirkt sich die Bildungsrevolution seit den 70er-Jahren aus. Heute studieren mehr als 50 Prozent einer Altersgruppe an Universitäten und Hochschulen. Und die sind überwiegend in Städten angesiedelt. Ebenso wie die qualifizierten Arbeitsmärkte, die um sie herum entstehen. Die veränderte Rolle der Frau spielt natürlich auch eine Rolle. Das suburbane Lebensmodell mit einem männlichen Alleinverdiener und einer Frau, die sich zuhause um die Kinder kümmert, entspricht einfach nicht mehr den heutigen Lebensläufen. Die Attraktivität der Städte hat also vor allem mit langfristigen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun. Mit ihrer Infrastruktur und ihren Netzwerken. Das sagt aber noch nichts darüber aus, wie lebenswert die Stadt im Alltag ist. Starkes Wachstum, das städtebaulich nicht bewältigt wurde, hat viele Städte aus meiner Sicht sogar unattraktiver werden lassen.

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SKYLINE ATLAS: Sie beschäftigen sich mit Ihrem Architekturbüro überwiegend mit Wohnungsbau. Was sind heute die größten Herausforderungen für neu entstehende städtische Quartiere?

Stefan Forster: Die größte Herausforderung besteht heute darin, überhaupt so etwas wie ein Quartier zu bauen. Ähnlich wie die Begriffe „Höfe“ oder „Park“ wird auch das „Quartier“ von Investoren als Marketingbegriff genutzt. Damit bekommt noch das liebloseste Projekt einen positiven Anstrich. Dem ursprünglichen Sinn eines Quartiers kommt man näher, wenn man zum Beispiel an das Pariser „Quartier Latin“ denkt. Hier leben junge und alte Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus und unterschiedlicher Herkunft zusammen. Die Mischung von Wohnen, Arbeiten und Kultur – wir sprechen auch von einer primären funktionalen Mischung – ist aber kein Selbstzweck, sondern ermöglicht einen lebendigen öffentlichen Raum mit einer Vielzahl an Aktivitäten. Sicherlich muss ein Quartier nicht immer das flirrende Straßenleben des „Quartier Latin“ bieten, aber ohne soziale und funktionale Mischung, ohne städtische Dichte und einen öffentlichen Raum, der diesen Namen auch verdient, ist das Quartier als Sozialraum und Nachbarschaft zum Scheitern verurteilt. Übrig bleibt dann nur eine territoriale Einheit ohne Qualität: größer als ein Haus, kleiner als ein Stadtviertel.

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Das Philosophicum in Frankfurt am Main

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Lyoner Straße 01 in Frankfurt Niederrad

SKYLINE ATLAS: Ihr Wettbewerbsentwurf für das neue Hellerhöfe-Quartier in Frankfurt sah intensiv begrünte Innenhöfe vor. Wie wichtig werden innerstädtische Begrünungen in Zukunft sein und was halten Sie von Dächer- und Fassadenbegrünungen?

Stefan Forster: Grünflächen können unter bestimmten Bedingungen die Aktivposten der Stadtentwicklung sein. Zu diesen Bedingungen gehört, dass sie städtebaulich sinn- und qualitätsvoll gestaltet sind. Grünraum kann Erholung und Zerstreuung bieten, aber auch trostloser Restraum sein. Es kommt also darauf an, Parks funktional in den Stadtraum einzubinden und Bäume als städtebauliches Gestaltungselement aufzufassen. Stadtraum und Mikroklima müssen zusammen gedacht werden. Extensiv begrünte Dächer können hierzu einen Beitrag leisten. Sie sind relativ günstig, wartungsarm und lassen Regenwasser wieder verdunsten. Im Vergleich zum Kiesdach strahlen sie auch deutlich weniger Wärme ab und wirken so dem Wärmeinsel-Effekt in dicht bebauten Städten entgegen. Der Hype um Fassadenbegrünungen ist allerdings nicht gerechtfertigt. Die Baukosten sind hoch, die Pflege aufwändig. Eine intensive Fassadenbegrünung kann eigentlich nur mit Luxuswohnungen realisiert werden, siehe den „Bosco Verticale“ in Mailand. Außerdem lässt sich der ökologische Effekt kaum messen. Das wenige CO2, das in den Pflanzen gespeichert werden kann, wird durch den Ressourcenverbrauch bei Statik und Rankkonstruktion wieder freigesetzt. Und die Fassade wird dabei auch noch zerstört. Mich wundert es sehr, dass die aktuelle Römerkoalition in ihrer Klimastrategie so stark auf dieses Pferd setzt.

SKYLINE ATLAS: Mit dem Ruby Tower und der Lyoner Straße 01 haben Sie in Niederrad zwei ehemalige Bürohochhäuser zu modernen Wohntürmen umgestaltet. Wie kann die Verwandlung einer Bürostadt zu einem neuen städtischen Wohnquartier gelingen?

Stefan Forster: Ganz allgemein ist die Umwandlung von Bürostädten in Wohnquartiere nur möglich, wenn die städtebauliche Struktur massiv verändert wird. Wenn wir uns die ehemalige Bürostadt Niederrad anschauen, sehen wir zunächst eine autistische Ansammlung von Bürotürmen und Solitären, die keinen städtischen Zusammenhang bilden. Zwischen den Häusern klaffen riesige Lücken. Toter Raum, der mal Parkplatz, mal Restfläche ist. Auch nach mehr als zehn Jahren des schrittweisen Umbaus zum „Lyoner Viertel“ entspricht die Stadtstruktur immer noch den Prinzipien einer autogerechten Stadt. Eine Bewegung zu Fuß oder mit dem Rad ist kaum möglich. Wie soll hier jemals städtisches Leben entstehen? Meines Erachtens besteht der Grundfehler darin, die Stadtentwicklung letztlich den Investoren zu überlassen. Die entwickeln aber nur einzelne Projekte – punktuell und unverbunden mit der Stadt als Ganzes. Das Ergebnis sind Bürokomplexe, die neben Wohnkomplexen stehen. Eine derart grobkörnige „Nutzungsmischung“ ist eigentlich eine Paradoxie. Richtiger wäre es, von einer kleinräumlichen Segregation zu sprechen (lacht). Die Möglichkeiten der Architektur als unterster Planungsebene sind hier leider begrenzt. Im Zuge der Umwandlung des Ruby Towers bzw. der Lyoner Straße 03 haben wir zumindest versucht, ein bestehendes Gebäude mit zwei Neubauten zu flankieren, um weiteren Wohnraum und die Quartiersgarage aufzunehmen. Die Gebäude sind so angeordnet, dass dazwischen differenzierte Räume entstehen – öffentliche und gemeinschaftliche. 

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Der Ruby Tower in Frankfurt am Main

SKYLINE ATLAS: Im Zuge der Corona-Pandemie wurde der Trend Richtung Homeoffice deutlich vorangetrieben. Wohn- und Arbeitsplatz scheinen dabei immer mehr miteinander zu verschmelzen. Welchen Einfluss hat dies auf die architektonische Planung zukünftiger Wohnhäuser?

Stefan Forster: Unter Pandemie-Bedingungen haben wir gesehen, dass die Arbeit von zuhause – gerade wenn beide Eltern berufstätig sind und gleichzeitig Kinder betreuen sollen – äußerst belastend und konfliktreich sein kann. Dies wird sich nach der Pandemie allerdings wieder normalisieren. Das Homeoffice wird, denke ich, die Arbeit im Büro nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen. Schon aus ökonomischen Gründen wird das kaum zu veränderten Anforderungen an den Wohnungsbau führen. Ein festes Arbeitszimmer beispielsweise würde die Wohnungen um mindestens zehn Quadratmeter vergrößern. Und die städtischen Wohnungsmärkte sind derzeit ohnehin schon angespannt. Insofern sehe ich die Perspektive für das Homeoffice eher in der Doppelnutzung von Räumen und in flexiblem Mobiliar, zum Beispiel im Schlafzimmer.

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Innenaufnahme des Wohnprojekts Sonnemannstraße

SKYLINE ATLAS: In letzter Zeit sind immer mehr Wohnhochhäuser oder sogenannte Hybridhochhäuser mit multifunktionaler Nutzung entstanden. Beispiele hierfür sind der Grand Tower, der EDEN Tower oder der Omniturm. Was halten Sie von diesem Trend und kämen solche Projekte auch für Ihr Architekturbüro infrage?

Stefan Forster: Der Boom von Wohnhochhäusern in einigen Städten – allen voran Frankfurt und Berlin – hat in den letzten Jahren die strukturellen Probleme dieses Bautyps überdeckt. Im Vergleich zum konventionellen Wohnungsbau sind die Baukosten sehr viel höher, sodass Wohnhochhäuser nur das absolut oberste Segment des Immobilienmarktes bedienen können. Viele Vorzeigeprojekte wie der Grand Tower oder der Henninger-Turm sind vor allem Spekulationsobjekte. Ihr Beitrag zur Lösung der Wohnungskrise fällt eindeutig negativ aus. Außerdem leisten sie über Aufwertungseffekte oft auch noch einen Beitrag zur sozialen Segregation des Umfelds. Umsichtige Stadtplaner wie Jan Gehl weisen schon seit Jahren darauf hin, dass der Bezug der Bewohner zum Stadtraum ab einer bestimmten Höhe verloren geht. Wohnhochhäuser führen also zu anonymen Bewohnern in einer anonymen Stadt – auch wenn das Wohnhochhaus „hybrid“, also mit anderen Nutzungen kombiniert wird. Hier sollte man sich immer fragen, was das Ziel dieser Nutzungsmischung ist, und das kann eigentlich nur in einem lebendigen öffentlichen Raum liegen. Wenn aber die Funktionen des öffentlichen Raums – Stichwort „Stadt in der Stadt“ – innerhalb des Gebäudes angeordnet werden, führt dies letztlich zur Privatisierung des Stadtraums. Genau das ist ja sogar das Versprechen dieser hybriden Hochhäuser: arbeiten, wohnen, trainieren, einkaufen und entspannen – alles, ohne das Haus zu verlassen.

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SKYLINE ATLAS: Christoph Mäckler sprach in unserem Interview darüber, dass Nutzungsdurchmischung und Multifunktionalität das A und O gelungener Architektur sind. Wie kann es sein, dass trotz dessen so monotone Stadtteile wie das Frankfurter Europaviertel entstehen und was braucht es, um dieses Viertel mit neuem Leben zu füllen?

Stefan Forster: Ganz einfach, die Monotonie des Europaviertels folgt den Vorgaben des Bebauungsplans. Sie ist nichts anderes als angewandtes Baurecht. Wenn man vor dem Einkaufszentrum „Skyline Plaza“ steht und nach Westen in die Europaallee blickt, sieht man auf der linken Seite einen Kilometer lang nur Wohnungen und auf der rechten Seite einen Kilometer nur Büros. Eine solche Straße zerfällt natürlich funktional in zwei Aktivitäten und kann niemals zu einem städtischen Boulevard werden. Sie zerfällt auch gestalterisch: Die Fassaden der Büros sind überwiegend dunkel, die der Wohnhäuser hell. Im Europaviertel zeigt sich unsere Unfähigkeit, lebenswerte Städte zu schaffen, wie in einem Brennglas. Neben der fehlenden Nutzungsmischung – zu der ja auch das Einkaufszentrum gehört, das sich nach außen völlig abweisend präsentiert – spielt auch die fehlende Vernetzung mit den angrenzenden Vierteln eine Rolle. Schauen Sie sich nur einmal die nördliche Grenze des Europaviertels an: Entlang der Messe, zur Kuhwaldsiedlung und zum Rebstock gibt es so gut wie keine Verbindungen. Stattdessen wird die Grenze durch Zäune, Mauern und Erdwälle gebildet. Dabei könnte man auch ein zentrales Messegelände durchlässig gestalten und in die Stadt integrieren. Die Messe Basel macht es vor. 

Im Europaviertel zeigt sich unsere Unfähigkeit, lebenswerte Städte zu schaffen, wie in einem Brennglas.

— Stefan Forster

Die Europa-Allee durchzieht das Europaviertel - hier wird die U5 U-Bahn gebaut (2019)

Die Europa-Alee im Frankfurter Europaviertel

SKYLINE ATLAS: Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich der Trend des Onlinehandels deutlich verstärkt. Immer häufiger liest man von Ladenschließungen oder gar einer drohenden Verödung deutscher Innenstädte. Welchen Beitrag kann die Architektur leisten, um unsere Stadtzentren wieder attraktiver zu machen?

Stefan Forster: Man darf nicht vergessen, dass der Niedergang der Stadtzentren schon lange vor dem Boom des Onlinehandels begonnen hat. Einkaufszentren – ob nun in der Stadt oder auf der grünen Wiese –, Outlet-Center oder die sogenannten Business Improvement Districts sind seit den 90er-Jahren bundesweit forciert worden. Jetzt fällt uns diese Konzentration des stationärem Handels auf die Füße. Die Zeil ist das beste Beispiel: Sie ist eigentlich eine Art Freiluft-Einkaufszentrum – mit den bekannten Folgen. Die Parallelstraßen sind über die Jahre zu reinen Andienungsstraßen verkommen,  die Stephanstraße zum Beispiel oder der Holzgraben. Gleichzeitig wurden um die Zeil herum Tausende Parkplätze angesiedelt. Die Verkehrsbelastung in der gesamten Innenstadt hat dadurch immer weiter zugenommen. Samstagmittag ist die Zeil überfüllt, nach Geschäftsschluss wird sie zur Geisterstadt. Und bei Nacht herrscht immer eine latente Aggressivität, weil die notwendige soziale Kontrolle fehlt. Hinzu kommen städtebauliche Probleme. Die Gastronomie müsste eigentlich in die Sockelzonen der Häuser integriert sein, damit diese belebt werden – stattdessen reiht sich dort ein trostloses Schaufenster an das andere. Außerdem versperrt die Gastronomie mit ihren Pavillon-Boxen die zentralen Blickachsen in der Mitte der Straße, und durch ihr schwarzes Spiegelglas wirken sie selbst während der Öffnungszeiten so, als wären sie eigentlich geschlossen. Dazu kommt dann noch der Onlinehandel. Allerdings sehe ich darin auch eine Chance. Die bestehenden Überkapazitäten und Konzentrationen des stationären Handels können abgebaut und die Innenstädte in großstädtische Quartiere umgewandelt werden. Die Stadtzentren müssen zwingend wieder zu Orten werden, die buchstäblich von Menschen bewohnt sind. Der verbliebene stationäre Handel kann dann entlang von belebten Quartiersstraßen so organisiert werden, dass er gegenüber dem öffentlichen Raum wieder kommunikationsfähig wird. Für die Zeil würde das bedeuten: weniger Shopping, gezielte Umwandlung einzelner Gebäude in Wohnraum, Einzelhandel und Gastronomie in kleineren Einheiten im Erdgeschoss und ein Straßenprofil, das an die Fressgass anknüpft. Übrigens ist die Diskussion, die Zeil wieder für den Autoverkehr zu öffnen – gerade mit Blick auf die Fressgass – völlig rückwärtsgewandt.

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SKYLINE ATLAS: In Frankfurt trifft man immer wieder auf leblose Plätze mit wenig Aufenthaltsqualität. Dabei ist genau das der Raum, wo öffentliches Leben, soziale Durchmischung und gesellschaftliche Partizipation stattfinden können. Ist unseren Politikern und Stadtplanern die Bedeutung solcher Plätze nicht genügend bewusst?

Stefan Forster: Ich denke, wir haben es mit einer multiplen Krise zu tun. Die Stadtpolitik hat keinen Sinn für die Bedeutung gut gestalteter Straßen und Plätze. Sie entwickelt weder tragfähige Visionen für die Stadt, noch verhindert sie, dass der öffentliche Raum mit aggressiver Außenwerbung und sinnlosen Großveranstaltungen durch Unternehmen privatisiert und durch planlos abgestellte Leihräder und E-Scooter vermüllt wird. Dazu kommt fehlgeleitetes bürgerschaftliches Engagement – von der „Grünen Lunge“ im Nordend bis zu diversen Urban-Gardening-Projekten. Aber auch wir Architekten und Planer haben Verantwortung für den Zustand der öffentlichen Plätze. Zu viele in unserer Zunft verwechseln leider Stadtgestaltung mit Flächenversiegelung. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir vergessen haben, wie ein vernünftiger Platz aussieht und gestaltet wird.

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Die Konstablerwache in der Innenstadt von Frankfurt am Main

SKYLINE ATLAS: Neben dem neuen FAZ-Tower im Frankfurter Europaviertel entsteht aktuell mit dem Timber Pioneer ein sechsgeschossiges Gebäude in Holzhybrid-Bauweise. In Hamburg und Berlin sind sogar richtige Hochhäuser dieser Bauart geplant. Wie glauben Sie wird sich dieser Trend entwickeln?

Stefan Forster: Durch die deutsche Debatte geistert alle paar Jahre ein neuer Trend, der als Allheilmittel propagiert wird. Jetzt soll es also der Holzbau richten. Verstehen Sie mich nicht falsch, Holz kann sicher hier und da einen Beitrag leisten – aber eben nicht bei jeder Bauaufgabe und bei jedem Gebäudetyp. Zumal Holz mit eigenen Problemen behaftet ist: Es hat bekannte bauphysikalische Probleme, speichert keine Wärme und die Nachhaltigkeit hängt stark davon ab, woher wir unser Holz beziehen. Auf absehbare Zeit werden wir Baustoffe wie Beton oder Poroton weiter benötigen, deren Produktion aber natürlich klimafreundlicher werden muss. Mit Blick auf den CO2-Fußabdruck spielt auch bei Werkstoffen wie Klinker die regionale Herstellung eine Rolle.

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Die Baustelle des Timber Pioneer

SKYLINE ATLAS: Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft wagen. Was glauben Sie, wie Frankfurt in 20 Jahren aussehen wird? Was werden die Herausforderungen sein?

Stefan Forster: Was Frankfurt betrifft, bin ich einigermaßen pessimistisch – oder sagen wir: ratlos. Anders als etwa Kopenhagen, Wien oder Paris hat es Frankfurt in den letzten 20 Jahren versäumt, die notwendige Transformation mutig anzugehen. Statt den Umstieg auf Rad und öffentlichen Nahverkehr zu forcieren, hat die Autodichte Jahr für Jahr weiter zugenommen – auch bezogen auf die Zahl der Autos pro 100.000 Einwohner. Vom Nordend bis zum Gallus kann man die Effekte dieser Politik an jeder Ecke beobachten: Das Auto hat die öffentlichen Räume vollständig kolonisiert. Kreuzungen, Gehwege, Grünanlagen oder Vorgärten werden allerorten zu Parkplätzen umfunktioniert. Mich wundert, dass die Leute das so ohne Weiteres hinnehmen. Und mich wundert auch, dass die Stadtpolitik bis heute keinen wirklichen Plan für eine andere Verkehrspolitik entwickeln will – die Grünen sind immerhin seit über 20 Jahren an der Regierung beteiligt. Diese konzeptionelle Leere wird dann mit projektbezogenem Aktionismus gefüllt. Nach dem gleichen Muster wurde schon vor mehr als zehn Jahren die Hauptwache für den Autoverkehr gesperrt, nur leider ohne jede städtebauliche Idee, was mit der dadurch entstandenen Asphaltfläche passieren soll. Um aber mit einer positiven Vision zu enden: Frankfurt sollte sich ein Beispiel an der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo nehmen. Sie hat klare, leicht zu kommunizierende Ideen wie die 15-Minuten-Stadt entwickelt. Seit Jahren fallen jedes Jahr zwei Prozent der Parkplätze in der Stadt weg – ersetzt werden sie durch das stadträumlich gut integrierte Vélib-Leihradsystem, durch Sitzbänke oder breitere Bürgersteige. Für die Frankfurter Stadtpolitik besteht die größte Herausforderung allerdings darin, das Denken in Kleinstprojekten endlich durch eine durchdachte Politik zu ersetzen und die Stadt vor allem auch neu gestalten zu wollen.

SKYLINE ATLAS: Lieber Herr Forster, vielen Dank für das Gespräch.

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Zur Person: Stefan Forster

Stefan Forster gründete das Büro Stefan Forster Architekten 1989 in Darmstadt, seit 1995 ist es in Frankfurt am Main ansässig. Er studierte Architektur in Berlin und Venedig und zählt mit seinem Partner Florian Kraft und dem Team aus rund 60 Architektinnen und Architekten heute zu den führenden Wohnungsbau-Architekten in Deutschland. Das Spektrum reicht dabei vom hochwertigen Appartement über bezahlbare Mietwohnungen und Stadthäuser bis hin zum Großblock. Darüber hinaus zählen der Umbau von Büro- und Verwaltungsgebäuden sowie die Transformation von Siedlungsstrukturen zu den Schwerpunkten des Büros. Zu den Kunden zählen neben kommunalen Baugesellschaften und Genossenschaften auch private Investoren und Bauträger. Zum Leistungsspektrum des Büros gehören Objektplanung in den Leistungsphasen 1–5, Generalplanung sowie BIM-Management und BIM-Gesamtkoordination. Die Leistungsphasen 6–9, die Grundlagenermittlung sowie die Kosten- und Terminplanung werden über die Tochtergesellschaft Stefan Forster Baumanagement angeboten. 

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Stefan Forster

Ein Kommentar zu “Interview mit Architekt Stefan Forster

  1. Reinhard Ansgar Schulz-Mittenzwei kommentierte: 11 Monaten ago Reply

    Was sich Herr Fortser allerdings am Weißen Stein leistet, ist kein Ruhmesblatt. Mit dem Bau, sehr sehr viel kritisiert, vergibt er die Chance, den Platz zu beleben bzw. Funktionen zu reaktivieren, er nimmt auch keine Rücksicht auf die Historie dieses Platzes bzw. die des Baustandortes.

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